(aus: Rundbrief 2015/2)
Zu einem besonderen Ereignis der Verbundenheit im christlichen Glauben wurde die von Aram I., Katholikos von Kilikien, vorgenommene Weihe des hl. Öls – eine Verbundenheit der Armenier in der Diaspora mit dem Katholikosat in Edschmiadzin durch die Anwesenheit zweier Bischöfe aus Armenien, die Verlesung einer Botschaft von Katholikos Karekin II. und die Beimischung von in Edschmiadzin gesegnetem Myron, – eine Verbundenheit mit den leidgeprüften Kirchen des Orients durch die Anwesenheit mehrerer orientalisch-orthodoxer, orthodoxer und katholischer Patriarchen, – eine Verbundenheit im Gedenken an den Völkermord vor 100 Jahren, was durch den Ort zum Ausdruck kam, an dem die Zeremonie stattfand, dem neu errichteten Völkermord-Denkmal beim Marienkloster Biqfaya.
Die ostkirchliche Myronweihe entspricht dem, was in der römisch-katholischen Kirche als „Chrisammesse“ bekannt ist: In dieser Feier werden die Öle für Firmung, Krankensalbung und andere Handlungen gesegnet.
Wie viele benachbarte Religionen kannte auch das Judentum Öl für die Salbung von Königen (1 Sam 9,16), Propheten (1 Kön 19,16) und Priestern (Ex 30,30). Wenn im Christentum alle Getauften einer solchen Salbung gewürdigt werden – nämlich in der Firmung –, dann zeigt dies, wie hier ein „heiliges Volk“ (1 Petr 2,9) gebildet wird, das gegenüber der ganzen Welt zeichenhafte Bedeutung hat.
Wird Öl von oben über den Körper ausgegossen (so zum Beispiel im 4. Jahrhundert bei der Firmung, bei der der Mensch nackt war), dann erhält der Empfänger darin einen symbolischen Schutzpanzer, der ihn gegen Angriffe von außen (vom Bösen, von der Sünde) schützt. Verbreitet sind auch Salbungen, die nur den Sinnesorganen gelten, den Händen oder der Stirn. Auch sie können als Schutz vor dem Eintritt des Bösen in den Menschen gedeutet werden (boshafte Verführungen, schlechte Gedanken), aber auch als Würdigung und Heiligung der leiblichen Verfasstheit des Menschen: Gerade die Sinne und das Gehirn sind es ja, die uns befähigen, mit der Außenwelt, mit Menschen, Umwelt und der ganzen Schöpfung in Beziehung zu treten.
Anders als in der westlichen Tradition wird in den Ostkirchen das Myron nicht jährlich und nicht von jedem Bischof geweiht. Der Ritus ist dem jeweiligen Kirchenoberhaupt vorbehalten und wird selten vorgenommen, in Konstantinopel zum Beispiel nur alle zehn Jahre. Das Myron wird dann in die Ortskirchen, zu den Bischöfen und Priestern weitergereicht. Bei den Armeniern wird die Myronweihe alle sieben Jahre vorgenommen, anders als in den meisten anderen Kirchen geschieht dies nicht am Gründonnerstag, sondern zu anderen Terminen.
In Biqfaya schritt an diesem Abend des 18. Juli Katholikos Aram I. von Kilikien mit zwei Bischöfen, die den Schrein mit der Reliquie der Segenshand Gregors des Erleuchters in Händen hielten, und vier Bischöfen, die die Behälter mit altem Myron aus Edschmiadzin trugen, auf den Platz. Nach Lesungen und Gebeten rührte er die vor 40 Tagen vorbereiteten Essenzen mit der Handreliquie in das Myron ein. Zum Abschluss segnete er mit der Segenshand die anwesenden Gläubigen (Foto oben).
Liborius Olaf Lumma