Die Ikone „Die beiden Apostelbrüder“ antwortet auf die Frage nach der Geschwisterlichkeit der Kirchen
Die Ikone der beiden sich umarmenden Brüder und Apostel Andreas und Petrus befindet sich im Plenarsaal des Sekretariates für die Einheit der Christen in Rom und ist ein Geschenk des Patriarchen Athenagoras I. (1886-1972) an Papst Paul VI. (1897-1978) aus dem Jahr 1964. Sie erinnert an ihre historische Begegnung am 5. Januar 1964 in Jerusalem, wo zum ersten Mal nach über 1000 Jahren der Trennung die Oberhäupter der Kirchen des Ostens und des Westens einander wieder trafen. Petrus versinnbildlich die Kirche von Rom und letztendlich die ganze Kirche des Westens. Andreas ist die Symbolgestalt für die Kirche des Ostens. Beide stehen sie für die Einheit der Kirche Jesu Christi und damit für das Miteinander der Christen von Ost und West. Als die beiden Brüder in ihrer Heimatstadt Betsaida am See Genezareth ihrem Beruf, dem Fischfang, nachgingen und dabei jene Begegnung mit Jesus hatten, die ihr Leben von Grund auf ändern sollte, ahnten sie nicht, dass sie dies einmal werden sollten. (Mt 4,18-20; Mk 1,16-20; Joh 1,35-42) Zu Symbolgestalten wurden sie auf einem langen geschichtlichen Weg, der oft alles andere als ein brüderliches Miteinander der Kirchen war.
Petrus begegnet uns oft in den Schriften des Neuen Testaments. Von Jesus erhielt er den Namen Kephas (Fels). (Mk 3,16; Joh 1,42) Er war der Sprecher des Jüngerkreises und nach Jesu Auferstehung dessen markanteste Gestalt. Nach Ostern wirkte er in Jerusalem. Ihm begegnen wir auch in Antiochia, der Stadt, in der sich die junge Kirche den Heiden gegenüber öffnete. (Gal 2,11ff) Zwei Briefe des Neuen Testamentes beanspruchen, von ihm geschrieben zu sein. Nach gut gesicherter Tradition starb er den Märtyrertod unter der Verfolgung des Kaisers Nero im Jahr 64 oder 67 in Rom. Wie sein Meister wurde er gekreuzigt – auf eigenem Wunsch und weil er sich nicht für würdig erachtete, den gleichen Tod wie Jesus zu erleiden – mit dem Kopf nach unten. Daher ist über Petrus ein Kreuz gemalt, bei dem der längere Querbalken und die kürzere Fußstütze oben angebracht ist. Die Schrift darunter bezeichnet ihn als „Petrus, der Erste“. Andreas gehörte dem Jüngerkreis Johannes des Täufers an. Auf eine eher zufällige Bemerkung des Johannes hin verließ er diesen und schloss sich Jesus an. (Joh 1, 35-42) Seinen Bruder konnte er ebenfalls dafür gewinnen, Jesus zu folgen. Beiden kündigte Jesus an, sie zu „Menschenfischern“ im Dienste des Gottesreiches zu machen. (Mt 4,18-22; Mk 1,14-20) Den weiteren Lebensweg des Andreas erfahren wir aus den „Andreasakten“. Demnach predigte er das Evangelium südlich des Schwarzen Meeres, in den unteren Donauländern und zuletzt in Griechenland, wo er am 30. November des Jahres 60 auf Befehl des Statthalters Aegeates an einem Kreuz mit schrägen Balken den Märtyrertod erlitt. Dieses Kreuz, das später „Andreaskreuz“ genannt wurde, ist auf der Ikone über dem Apostel zu sehen, die Schrift darunter nennt ihn „Andreas, der Erstberufene“. Als Kaiser Konstantin die Stadt Byzanz 330 an Stelle Roms zur Reichshauptstadt machte, entstand die Legende, dass Andreas ihr erster Bischof gewesen sei. Ausgehend von der Stelle des Johannesevangeliums, aus der hervorgeht, dass Andreas als erster der beiden Brüder von Jesus gerufen worden sei, leitete man die Vorrangstellung des Bischofs von Byzanz, dem späteren Konstantinopel, ab. Dieser Anspruch wurde zum Keim für eine jahrhundertelange Rivalität zwischen den Metropolen Rom und Konstantinopel. Sie führte zur Entfremdung zwischen der Kirche des Ostens und des Westens und letztendlich zur Kirchenspaltung.
Auftrag des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) ist, alles zu tun, um die Kirchenspaltung zu beenden. Das Treffen von Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras I. in Jerusalem bedeutete den offiziellen Schlussstrich unter das lange, oft feindselige Nebeneinander der katholischen und der orthodoxen Christenheit und den Beginn eines neuen Miteinanders. Der Nachfolger auf dem Stuhl des Apostels Petrus und der Nachfolger auf dem Stuhl des Apostels Andreas gingen aufeinander zu und umarmten einander. Von nun an sollte ein brüderlicher und in gegenseitigem Respekt vor der Tradition des anderen geführter „Dialog der Liebe“ mit dem Ziel der Kircheneinheit geführt werden. Zeichen dessen ist diese Ikone, die Andreas und Petrus zeigt, wie sie nach langen Jahren der Trennung und Entfremdung wieder aufeinandertreffen und sich herzlich umarmen. Jesus segnet vom Himmel herunter die Apostelbrüder, die wieder zum Miteinander gefunden haben. Andreas und Petrus sind als leibliche Brüder einander verbunden. Noch tiefer aber verbindet sie der Glaube an Jesus. Als Brüder im Glauben sind sie Jesus nachgefolgt, und haben ihn als ihren Herrn verkündet. Beide sind sie ihrem Herrn im Kreuzestod gleich geworden und dadurch eingetreten in sein ewiges Reich. (2 Petr 1,11)
Die Umarmung des Petrus und Andreas ist Auftrag und Mahnung an die Kirchen in Ost und West, auf das zu schauen, was sie verbindet: ihr Glaube an Jesus, sein Ruf, ihm nachzufolgen und Menschenfischer zu werden. Jesus segnet Petrus und Andreas. Mit den Aposteln segnet er aber auch die Kirchen, die durch die Predigt der beiden Brüder entstanden sind und beauftragt sie: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns eins sein, damit die Welt glaubt.“ (Joh 17,21)
(aus: Hanns Sauter, Bilder des Lebens, Ikonen als Antworten auf heutige Glaubensfragen. Wien: Dom-Verlag 2012)