Der Friedensgedanke in den Eucharistiefeiern des Ostens und des Westens
Von Hanns Sauter, Diözesanreferent des Andreas-Petrus-Werks für die Erzdiözese Wien
Die Eucharistiefeier, die Mitte des gottesdienstlichen und damit auch des christlichen Lebens, ist geprägt vom Gedanken des Friedens. Dies gilt für die Feier der Hl. Messe der römischen Kirche, wie auch für die Eucharistiefeier der Ostkirchen, der „göttlichen Liturgie“, die auf die heiligen Johannes Chrysostomus (+407) und Basilius (379) zurückgeführt wird. Auch die Gottesdienste der Kirchen der Reformation, die sich ja auf die Messfeier der noch einen westlichen Kirche jener Zeit zurückführen, kennen einen Friedensritus.
Zu Beginn der römischen Messfeier wendet sich der Priester der Gemeinde zu und begrüßt sie mit den Worten: „Der Herr sei mit euch“. Dazu breitet er seine Arme aus, als wolle er die Gottesdienstgemeinde umarmen. Das Messbuch kennt zu diesem Eingangsgruß einige Erweiterungsformeln. Mehrheitlich sind sie den paulinischen Briefen entnommen, wie z. B.: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus! (1 Kor 1,3). Ist der Vorsteher der Eucharistiefeier ein Bischof beginnt er den Gottesdienst mit den Worten: „Der Friede sei mit euch“. Es sind dieselben Worte, mit denen der nachösterliche Jesus seine Jünger begrüßte (Joh 20,19), als sich diese nach Kreuzigung Jesu in einer kläglichen Verfassung befanden und dringend einen Zuspruch brauchten, der ihnen helfen sollte, wieder zu einem inneren und äußeren Frieden zurückzufinden. Friede sei mit euch – diese Worte – als Gruß oder als Wunsch verstanden – machen schon zu Beginn der Eucharistiefeier klar und deutlich, dass Friede im Sinne Jesu mehr ist als das Frei-sein von Krieg oder Streitigkeiten. Und im Sinne des hebräischen Schalom – Heil in einem umfassenden Sinn – ein Kennzeichen des Reiches Gottes ist. In diesem Schalom zu leben ist ein Wunsch. Hier vertritt nun die Bibel die Meinung, dass sich die Menschen ein Leben in diesem Schalom verwirkt haben, und ihn mit eigenen Kräften auch nicht herstellen können. Er ist Geschenk Gottes. Jesus verheißt und schenkt seinen Jüngern diesen Frieden, doch gilt diese Verheißung allen, die sich an seinem – Jesu – Leben orientieren und sein Wort hören. (Mt 5,9; Joh 14,23) Dies aber trifft auf die zur Eucharistiefeier versammelten Gemeinde zu. Wer auf Jesu Wort hört und es annimmt, ist auf dem Weg zu seinem Frieden, denn es enthält zahlreiche Ratschläge, die zum Gelingen dieses Weges beitragen, wie z. B. der, Böses nicht mit Bösem zu vergelten oder sich mit dem Bruder zu versöhnen – mit anderen Worten: die Spirale von Hass und Gewalt zu durchbrechen. (Mt 5, 1-7,29). Er hat dies selbst vorgelebt und konnte dies, weil er in engster Verbindung zu seinem Vater-Gott lebte und dadurch für alle Frieden gestiftet hat. (Joh 4,34; 6,38; 16,28-33, Kol 1,20) Mit dem Vaterunser formuliert Jesus ein Gebet, in dem er um das Kommen des Reiches Gottes bittet und seinen Jüngern aufträgt, es ebenfalls zu tun. In diesem Gebet ist alles enthalten, was das Kommen dieses Reiches herbeiführt und daher Anliegen der Christen sein muss. Das gemeinsame Gebet des Vaterunsers ist nicht nur in jedem Gottesdienst einer der eindringlichsten Momente, in der Eucharistiefeier wird die enge Verbindung zwischen dem Reich Gottes und dem von allen ersehnten Frieden noch einmal herausgestellt. In dem sich an das Vaterunser anschließende Gebet bittet der Vorsteher nochmals um Gottes Hilfe, damit Friede einkehren, sowie durch das endgültige Kommen Jesu „mit seinem Reiche“ (Lk 23,42) immer bleiben kann. Ein darauf folgendes, weiteres Friedensgebet richtet sich an Jesus. Setzt das vorausgehende Gebet mehr den Akzent auf die Bitte um einen allgemeinen Frieden, geht es bei diesem mehr um den Frieden und die Einheit innerhalb der Kirche und der Christen. (Joh 14,27) Der auf dieses Gebet folgende Friedenswunsch entspricht dem Gruß zu Beginn der Messe und erinnert nochmals daran, dass der Friede Christi anders und mehr ist als jeglicher weltlicher Friede. Er ist ein Geschenk Jesu an seine Gemeinde, damit es ihr gelingt, in der Welt als ein Volk des Friedens zu leben und ein Zeichen dafür zu sein, dass es „auch anders geht!“ Die Aufforderung: „Gebt einander ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung“, das meist in der Form des Händereichens oder einer anderen Geste geschieht, ist Zeichen der Verbundenheit einer Gemeinschaft, die sich im Dienst Jesu weiß. Die Lamm-Gottes-Rufe begleiten das Brechen des konsekrierten Brotes und schließen mit der Bitte um Frieden. Sie fassen nochmals zusammen: der Friede um den es hier geht, kommt von Jesus und er kommt dann, wenn sein Vermächtnis ernst genommen und nach seinem Wort gelebt wird. Dieses Vermächtnis Jesu macht sich jeder zu Eigen, der vom Brot Christi isst und seinen Kelch teilt. Die Eucharistiefeier endet mit dem Ruf: „Gehet hin in Frieden!“ Er kann als Aufforderung verstanden werden, aus dem Frieden des Gottesreiches, von dem sie einen Eindruck vermitteln sollte, weiter zu leben, lässt aber auch an die Worte Jesu zu seinen Jüngern denken, als er sie zu den Menschen sandte: „Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als Erstes: Friede diesem Haus!“ (Lk 10,5). Wie der Friedensgruß zu Beginn der Messe ist auch dieser Ruf erweiterbar in: „Geht und bringt Frieden.“ Jede Gottesdienstfeier und jedes Gebet ist bedeutungslos wenn daraus kein neues Miteinander entsteht, das einen wiederum einen neuen Schritt in Richtung des Reiches Gottes ist, in dem der Friede mehr ist, als die Abwesenheit von Krieg, sondern ein Leben in der Fülle Gottes.
Die Feier der „göttlichen Liturgie“ der Kirchen der byzantinischen Tradition vermittelt eine Ahnung von diesem Reich. Bereits die Eingangsdoxologie: „Gepriesen sei das Reich des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes…“ sagt klar, dass sich alle, die zu ihrer Feier zusammengekommen sind, zu diesem Reich gehören und sich in ihr verwirklicht. Der Diakon, der der Wortführer der Gemeinde ist, kann daher mit dem Aufruf beginnen: „Im Frieden lasst uns beten zum Herrn“ und mit dem Gebet der großen Litanei zur Bitte aufrufen, dass sich dieser Friede überall dorthin verbreiten möge, wo er in der Welt durch Not und Gefahren gefährdet ist. Eingeschlossen in das Gebet werden alle, die eine besondere Verantwortung – die kirchlichen und weltlichen Amtsträger – für den Frieden in der Welt haben. In diesen Anliegen kann nie genug gebetet werden. Daher fasst sie der Diakon nochmals in zwei weitere kleine Litaneien, die mit dem Ruf beginnen: „Wieder und wieder lasst uns im Frieden beten zum Herrn…“ und zwischen den folgenden Hymnen gesungen werden, zusammen. Zu diese Gesängen zählen auch die Seligpreisungen, die näher hin beschreiben, welche Einstellungen Frieden bewirken. Die Welt kann ihn zwar nicht geben (Joh 14,27), bewegt sich aber auf ihn zu, wenn sich die Menschen an den Worten Jesu orientieren. Beispiele dafür sind die Heiligen, derer in der Liturgie durch die Troparien, die nun gesungen werden, gedacht wird. Vor der Lesung und vor dem Evangelium wünscht der Priester den Gläubigen Frieden. Er verwendet dazu die Worte, mit denen Jesus nach seiner Auferstehung die Apostel begrüßt hat: „Friede mit euch“. (Joh 20, 21) Dieser Gruß Jesu ist in jeden Gottesdienst eingegangen als Segensgruß des Priesters: „Friede sei mit euch allen“ und wird im Laufe der Liturgie mehrmals wiederholt. Wie bei den Aposteln, die sich hinter verschlossenen Türen versammelt haben, ist der auferstandene Jesus unter uns. Er richtet sein Wort, nach dem zu leben Frieden bewirkt, an uns und bestärkt uns in der Absicht, ihm auf seinem Weg zu folgen. Die Bittlitanei, die auf den großen Einzug mit den Opfergaben folgt, thematisiert daher die Anliegen der Gläubigen, als die Bitte nach einem Leben im Frieden Christi. Auf die Bittlitanei folgt der Friedenskuss des Priesters. Er küsst zunächst die Gegenstände, die zur Darbringung des Opfers Christi, das Frieden bewirkt hat, benötigt werden: Diskos, Kelch und Altar, dann – wenn anwesend – die Konzelebranten und den Diakon. Dieser nimmt den Friedengruß auf und erweitert ihn um einen Aufruf an alle zur Liebe: Lasst uns einander lieben, damit wir in Eintracht bekennen, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist…“ Ein Leben in Eintracht, Frieden und Liebe ist das Leben derer, die an den dreifaltigen Gott glauben. So folgt auf den Friedensritus das Glaubensbekenntnis. Wenn sich alle zum Gott des Friedens bekannt haben, steht der weiteren Feier nichts mehr im Wege: „Haben wir Acht dass wir das Heilige Opfer in Frieden darbringen.“ Im Hochgebet, der Anaphora, wird für alle gebetet, die in Staat und Kirche Verantwortung tragen, dass sie ihren Dienst im Sinne des Friedens für alle ausüben: „Wir bringen diesen geistlichen Opferdienst auch dar für die heilige katholische und apostolische Kirche… für alle, die im Staate Verantwortung tragen: Gewähre ihnen, Herr, Frieden, damit auch wir ein friedliches Leben führen können…“ Den Abschluss der Liturgie leitet der Priester mit den Worten ein: „Gehen wir in Frieden!“ und spricht darauf das Entlassungsgebet: „Gib Frieden deiner Welt, deinen Kirchen, deinen Priestern, denen, die Verantwortung tragen in diesem Lande und in deinem ganzen Volke. Denn jede vollkommene Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben und steigt herab von dir, dem Vater der Lichter, und zu dir senden wir empor Verherrlichung, Dank und Anbetung…“ Alle, die die Liturgie gefeiert und dadurch den Frieden, den nur Gott geben kann, verspürt haben, werden gesendet, wie Jesus die Apostel gesendet hat. (Joh 20,21) Sie haben, wie der Abschlussgesang besagt, das wahre Licht gesehen, den Geist vom Himmel empfangen, zum Glauben gefunden, Gottes Frieden verspürt. Nun sollen sie ihn weiter tragen. Der heilige Serafim von Sarow (1759-1833) sagt in diesem Sinne einmal: „Sei im Frieden mit dir selbst und um dich herum werden Tausende gerettet.“
Aus: Hanns Sauter, Peter Schott: Beten für den Frieden. Freiburg (Herder) 2023